Tatsächlich sieht die Lage in vielen Bereichen aktuell deutlich besser aus als erwartet – ganz gleich, ob es sich um Energiepreise, Versorgungssicherheit oder Fortschritte bei der Energiewende handelt. Ist die Energiekrise also vorbei? Seit Februar 2022 begleitet Lisa Gehrig die Entwicklungen als Geschäftsbereichsleiterin Markt bei der Rheinhessischen. Im Interview gibt sie eine Einschätzung und einen Ausblick auf die kommenden Monate.
Frau Gehrig, nach einem Jahr schlechter Nachrichten stimmt die nach wie vor stabile Lage bei der Gasversorgung die Branche vorsichtig optimistisch. Haben wir den Krisenmodus am Gasmarkt überwunden?
Aktuell mehren sich die Lichtblicke – die für den Winter befürchteten Szenarien blieben aus. Glücklicherweise. Dank des milden Wetters kam es weder zur Gasmangellage noch zu einem Strom-Blackout. Die aktuelle Lage bei der Gasversorgung lässt sich als entspannt bezeichnen. Denn die deutschen Gasspeicher sind Anfang April noch zu rund 65 Prozent gefüllt – ein historisch guter Wert. Zusätzlich spielt uns das weiterhin milde Wetter in die Karten. Also ja, im Moment dürfen wir vorsichtig aufatmen.
Welche Umstände haben sonst noch zu der positiven Entwicklung beigetragen?
Wenn wir den Blick für einen kurzen Moment zurückrichten, lässt sich zusammenfassend sagen: Durch gemeinsame Anstrengungen von Politik, Wirtschaft, Kommunen und Privathaushalten sind wir erfolgreicher durch die Krise gekommen als erwartet. Trotz der zunächst sinkenden und seit Ende August ganz ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland gelang es, die Gasspeicher wie vorgesehen zu befüllen. Die fehlenden Importe glich Deutschland durch einen starken Anstieg der Einfuhren von Flüssigerdgas (LNG), insbesondere aus den USA, aus. Inzwischen sind in einem Rekordtempo die ersten zwei LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Lubmin in Betrieb, also die logistischen Knotenpunkte für die Entladung der Tanker. Weitere sollen zeitnah folgen. Zusätzlich glänzten Industrie und Haushalte mit überdurchschnittlich hohen Einsparungen – besonders beim Gas. Im Vergleich zu den vergangenen vier Jahren ist der Verbrauch 2022 um rund 14 Prozent zurückgegangen. Zwar haben hier auch die milden Temperaturen positiv mit reingespielt. Trotzdem bleibt es ein großartiger Erfolg.
Genaue Daten zur Gasversorgung 2022 hat die Bundesnetzagentur zusammengefasst.
Haben die Menschen in der Region auch Gas gespart?
Ja, und zwar kräftig. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bei unseren Kundinnen und Kunden aus Ingelheim und Umgebung herzlich bedanken. Im Vergleich zum Vorjahr verringerten sie ihren Gasverbrauch um insgesamt 43 Millionen Kilowattstunden – ein großartiger Erfolg, von dem auch der Klimaschutz profitiert. Wir gehen davon aus, dass eine Gasheizung pro verbrannter Kilowattstunde rund 202 Gramm CO2 ausstößt. Hochgerechnet auf die Region emittierten allein unsere Kundinnen und Kunden dadurch im Vorjahr 8.686 Tonnen weniger CO2.
Wie wichtig ist es, weiterhin Energie zu sparen?
Aktuell gilt die Strom- und Erdgasversorgung in Deutschland als sicher. Trotzdem dürfen wir nicht in Sorglosigkeit verfallen. Denn für den nächsten Winter könnten wieder Anstrengungen relevant werden, um einen Gasmangel zu verhindern. Schließlich muss der Bedarf erstmals komplett ohne russisches Gas gedeckt werden. Zugleich bleibt die weltpolitische Lage weiter angespannt – und mit ihr die Risiken unerwarteter Ereignisse mit Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit. Deshalb ist auch in diesem Jahr ein sparsamer Umgang mit Energie weiter wichtig. Das machen auch die Strom- und Gaspreisbremsen deutlich. Zwar federn sie die hohen Energiekosten für Kundinnen und Kunden weitestgehend ab, aber lediglich für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Damit möchte die Bundesregierung Haushalte und Industrie zum Energiesparen motivieren.
„Dank gemeinsamer Anstrengungen konnten wir das Krisenjahr so gut hinter uns bringen."
Apropos Energiepreise. Die fallen ja seit einigen Monaten. Wann kommt das bei den Kundinnen und Kunden an?
Die Entwicklung an der Leipziger Energiebörse gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Wie sich die Situation entwickelt, lässt sich aber nicht seriös vorhersagen. Dafür ist die geopolitische Lage einfach zu unsicher und niemand weiß heute, ob nicht ein weiterer heißer Sommer französische Kernkraftwerke lahmlegt, was sich sofort wieder auf die Preise bei uns in Deutschland auswirken würde. Unsere Kundinnen und Kunden können aber sicher sein, dass wir wie gewohnt mit spitzer Feder kalkulieren, um bestmögliche Preise zu bieten. So viel kann ich versprechen.
Um unseren Aufgaben als verlässlicher Grundversorger nachzukommen und starke Schwankungen bei den Endkundenpreisen zu vermeiden, beschaffen wir Energie möglichst vorausschauend und risikoarm. Deshalb kaufen wir heute bereits Teilmengen für die nächsten drei Jahre. Der Preis, den unsere Kundinnen und Kunden hier in der Region zahlen, ist sozusagen immer ein Durchschnitt aus drei Jahren, sodass aktuelle Preisereignisse erst zeitversetzt bei unseren Kundinnen und Kunden ankommen.
Mehr zur Gas- und Strompreisentwicklung und zur Einkaufspolitik der Rheinhessischen.
Und was ist mit Sondertarifen der Rheinhessischen? Die Vermarktung hatten Sie ja im Vorjahr überregional sogar komplett eingestellt.
Aus gutem Grund. Die Preisrallye nach Beginn der Energiekrise 2021 entwickelte sich auf ein Niveau, dass wir Kundinnen und Kunden kein seriöses Angebot für eine Laufzeit über ein bis zwei Jahre kalkulieren konnten. Sie wären dann über die Erstlaufzeit an den extrem hohen Preis gebunden. Unserem Anspruch, nachhaltige Energie zu fairen Preisen anzubieten, konnten wir so nicht mehr gerecht werden. Doch der anhaltende Abwärtstrend lässt auch bei unseren Sonderprodukten für regionale und überregionale Kundinnen und Kunden wieder mehr Möglichkeiten zu. Deshalb wollen wir im Frühsommer deutschlandweit wieder Tarife mit 12 und 24 Monaten Laufzeit anbieten. Wir gehen davon aus, dass die Preise bis dahin noch etwas nachgeben und wir uns dann auf einem stabileren Preisniveau befinden. Das ermöglicht uns wieder, mit einem besseren Gewissen Tarife mit Preisbindung anbieten zu können – hoffentlich sogar unter dem jetzigen Niveau der Preisbremsen.
Jetzt, da die ganz akute Krise erstmal unter Kontrolle ist, ist vielleicht Zeit, nach vorne zu blicken.
Absolut. Da das Krisenmanagement langsam zurückgeht, muss die Energiewende wieder stärker in den Fokus rücken. Denn eins ist klar: Der Klimawandel schreitet im rasanten Tempo voran, wie der aktuelle Bericht des Weltklimarats IPCC erneut eindrucksvoll belegt. Laut einer aktuellen Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums könnten bis 2050 durch die Erderwärmung sogar wirtschaftliche Schäden von bis zu 900 Milliarden Euro entstehen. Es ist also höchste Zeit, zu handeln.
Im Vorjahr lag der Anteil erneuerbarer Energien mit rund 46 Prozent im deutschen Strommix so hoch wie noch nie zuvor.
Das stimmt. Allerdings sind die hohen Einspeisemengen 2022 eher auf die sonnige und windreiche Witterung zurückzuführen als auf echtes Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien. Doch Klima- und Energiekrise haben in der Gesellschaft ein höheres Bewusstsein für die Energiewende geschaffen. Immer mehr Menschen wollen sich engagieren und einen Beitrag leisten. Im Großen wie im Kleinen. So hat sich etwa die Zahl der PV-Balkonmodule vervierfacht und nach einer aktuellen Verbraucherumfrage achten rund 91 Prozent der Befragten darauf, ihren Energiebrauch zu reduzieren.
Unterstützt die Rheinhessische deshalb auch die Aufforstung des Ingelheimer Stadtwaldes mit der Kampagne „Aufbäumen“?
Richtig. Denn ein wichtiger Aspekt für eine erfolgreiche Klimawende ist definitiv der Schutz unserer heimischen Wälder. Wir brauchen sie als Verbündete im Kampf gegen die Erderwärmung. Sie dienen als CO2- und Wasserspeicher, tragen zur Artenvielfalt bei und fungieren als grüne Lunge der Region. Deshalb wollen wir uns in diesem Jahr für die Aufforstung des Ingelheimer Stadtwaldes einsetzen. Dazu haben wir kürzlich die Aktion „Gemeinsam aufbäumen“ ins Leben gerufen. Auslöser war unter anderem die Energiekrise. Denn die rasanten Entwicklungen am Energiemarkt erhöhten den Bedarf nach regelmäßiger Kommunikation ständig weiter. Deshalb verschickten wir 2022 so viele Anschreiben wie nie zuvor – rund 156.000 Briefe mit Rechnungen oder Preisanpassungsschreiben, oft auch mehrseitig. Das sorgte für ein spürbar größeres Papieraufkommen. Dem wollen wir mit der „Gemeinsam aufbäumen“-Kampagne entgegenwirken. Für jede Kundin und jeden Kunden, die oder der auf digitale Post umstellt, also sich dafür entscheidet, künftig per E-Mail und nicht mehr postalisch informiert zu werden, pflanzt die Rheinhessische einen Baum im Ingelheimer Stadtwald. Und setzt sich so verstärkt für den Umweltschutz in der Region ein. Mehr zu „Gemeinsam aufbäumen“.
„Klima- und Energiekrise haben in der Gesellschaft ein höheres Bewusstsein für die Energiewende geschaffen. Immer mehr Menschen wollen sich engagieren und einen Beitrag für die Umwelt leisten."
Was tut die Rheinhessische sonst noch, um die Energiewende aktiv voranzutreiben?
Wir verfolgen seit vielen Jahren den Kurs, effizient und nachhaltig mit Energie und natürlich begrenzten Ressourcen umzugehen. Unsere Kundinnen und Kunden beziehen seit zwölf Jahren zertifizierten, echten Ökostrom aus Wasserkraft – ganz automatisch. Auch als Unternehmen ist es unser Ziel, unseren Energieverbrauch kontinuierlich zu reduzieren und unsere Energieeffizienz beständig zu verbessern. Etwa mit dem Ausbau unseres Elektro-Fuhrparks oder nachhaltigem Umwelt- und Qualitätsmanagement, das auf eine Verringerung des Rohstoff- und Energieeinsatzes abzielt. Mit Beteiligungen an Windparks und unserem hocheffizienten Nahwärmenetz investieren wir zusätzlich in eine grüne Energiezukunft der Region. So gelingt es uns, unsere CO2-Bilanz ständig zu verbessern.